Seit 1978 fährt die Stadtbahnlinie 16 zwischen Köln und Bonn und verbindet die Schienennetze der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) und der Verkehrsbetriebe der Stadtwerke Bonn (SWBV). Die Überlandstrecke ist aus der früheren Rheinuferbahn der Köln-Bonner-Eisenbahnen (KBE) hervor gegangen, die bereits seit 1906 die beiden Städte als Eisenbahn verbunden hat. Der Streckenabschnitt zwischen Heinrich-Lübke-Ufer in Köln und der Stadtgrenze Bonn ist noch heute als zweigleisige Hauptbahn nach Eisenbahn Bau- und Betriebsordnung (EBO) konzessioniert. Zwischen Wesseling und Hersel verkehren über die Gleise der Rheinuferbahn zusätzlich Güterzüge der Häfen- und Güterverkehr Köln GmbH (HGK).
Einfluss der Höchstgeschwindigkeit auf die Fahrzeit
Die zwischen 1973 und 1978 durch die Kölner Verkehrsbetriebe AG beschafften Stadtbahnwagen vom Typ B100S (Serie 2000), von denen sich nur noch vier Einheiten im Liniendienst befinden, haben eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Die Fahrzeuge schalten im Gegensatz du den später beschafften Serien bei Erreichen der Höchstgeschwindigkeit nicht ab, so dass diese bei Neubereifung und geringem Beladungszustand insbesondere im Abschnitt Sürth – Godorf um ca. 15 Prozent höhere Endgeschwindigkeiten erreichen können. Innerhalb dieser Serie gab es bereits zum Zeitpunkt der Beschaffung Fahrzeuge mit unterschiedlichen Getriebeübersetzungen für 80 km/h (Einsatzschwerpunkt Stadtverkehr) bzw. 100 km/h (Einsatzschwerpunkt Städteverbindung Köln-Bonn).
Nachdem 1984/85 nochmals eine Serie B100S (Serie 2100) mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h beschafft wurde, kamen ab 1987 in Köln in der Konzeption grundlegend überarbeitete Stadtbahnwagen B80D (Serie 2200 bzw. 2300) mit Drehstromantrieb und einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zum Einsatz.
In Bonn wurde bei den Fahrzeugbeschaffungen bis 1993 an der Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h festgehalten. Erst bei den mit Köln gemeinsam bestellten Fahrzeugen vom Typ K5000 wurde davon Abstand genommen. Diese sind für 80 km/h zugelassen.
Bei den Diskussionen über die Fahrzeit der Linie 16 wird häufig die gefahrene Höchstgeschwindigkeit der Stadtbahnzüge als maßgebend gesehen. Es wird darauf verwiesen, dass die KBE mit ihren zuletzt beschafften Zügen (Aluminiumtriebwagen „Silberpfeil“) bis zu 120 km/h gefahren ist. Die konventionellen Züge der KBE (Stahltriebwagen) fuhren 90 bis 100 km/h. Die zunächst auf der Linie 16 ab 1978 eingesetzten Stadtbahnwagen B waren für eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zugelassen. Diese Höchstgeschwindigkeit wurde auch tatsächlich planmäßig auf einigen Abschnitten der Rheinuferbahn ausgefahren. Seit Ende der 80er-Jahre wurden dann aber von der KVB zunehmend Stadtbahnwagen mit einer geringeren Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h auf der Linie 16 eingesetzt*). Die damit verbundene Fahrzeitverlängerung wird unter Straßenbahn- und Eisenbahnfreunden oft mit 3 bis 5 Minuten eingeschätzt.
Dies habe ich im Jahr 1998 zum Anlass genommen, entsprechende Untersuchungen über den Einfluss der Höchstgeschwindigkeit der verschiedenen Stadtbahnserien auf die Fahrzeit durchzuführen. Zu diesem Zeitpunkt kamen neben den „schnellen Zügen“ der SWB noch gelegentlich solche der KVB-Serie 2000 auf der Linie 16 zum Einsatz, so dass neben theoretischen Fahrzeitberechnungen auch praktische Messungen möglich waren.
Die „Versuchsstrecke“ umfasste die ehemalige Überlandstrecke der KBE (Abschnitt Heinrich-Lübke-Ufer – Propsthof Nord) mit einer Länge von 22 km. Der Abschnitt zwischen Heinrich-Lübke-Ufer und der Stadtgrenze Bonn (ca. 18 km) ist als Eisenbahn konzessioniert (Hauptbahn nach Eisenbahn- Bau und Betriebsordnung) und wird von der HGK betrieben. Der völlig kreuzungsfreie Abschnitt Stadtgrenze Bonn bis Propsthof Nord (ca. 4 km) gehört inzwischen zur Bonner U-Bahn und wird von den Stadtwerken Bonn betrieben. Die Stadtbahnzüge können diese Strecke fast ohne äußere Einflüsse (z. B. durch den Kfz-Verkehr) befahren. Weite Teile sind völlig kreuzungsfrei ausgebaut. Einziger Störfaktor sind die zahlreichen Bahnübergänge auf dem südlichen Abschnitt, die gelegentlich verzögert schließen. Es werden 16 Zwischenstationen bedient, so dass sich ein durchschnittlicher Stationsabstand von 1.375 m ergibt.
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug damals durchgehend 100 km/h. Örtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen gab es in Fahrtrichtung Bonn nur im Bereich des Haltepunktes Siegstraße (80 km/h) sowie im Bereich der Bahnhöfe Sürth (90 km/h) und Wesseling Süd (80 km/h). Inzwischen wurde im Zusammenhang mit dem Umbau der Signaltechnik in den Bereichen Rodenkirchen - Sürth und Buschdorf - Bonn West die zulässige Höchstgeschwindigkeit grundsätzlich auf 80 km/h reduziert.
Bei einer planmäßigen Fahrzeit von 29 Minuten beträgt die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit über den gesamten Abschnitt 45 km/h. Zum Vergleich: U-Bahnen in Deutschland haben eine Reisegeschwindigkeit von 30 bis 35 km/h, S-Bahnen und Nahverkehrszüge der DB ca. 60 km/h.
Theoretische Fahrzeitberechnungen
Grundlage der theoretischen Fahrzeitberechnungen ist das von der Firma Siemens aufgestellte Anfahrdiagramm des Stadtbahnwagen B bei 2/3-Besetzung und einer Streckenneigung von 0 Promille. Der Bremsvorgang (Betriebsbremsung) wird mit einer konstanten Verzögerung von 1,2 m/s² angesetzt. Für Anfahren bis zur Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und Bremsen bis zum Stillstand (sog. Spitzfahrt) benötigt das Fahrzeug demnach mindestens eine Strecke von 1708 m.
Die Auswertung der Stationsabstände in dem untersuchten Bereich der Rheinuferbahn ergibt, dass die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nur in drei Abschnitten mit einer Länge > 1.708 m planmäßig angesetzt werden kann. Davon weisen zwei Abschnitte (u. a. Godorf – Wesseling Nord) eine Länge von ca. 1.900 m und ein Abschnitt (Sürth – Godorf) eine Länge von 2.700 m auf. In acht Abschnitten kann planmäßig eine Geschwindigkeit zwischen 90 und 95 km/h erreicht werden. Fünf Abschnitte ermöglichen aufgrund ihrer Länge nur eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h.
Die auf dieser Grundlage berechneten Fahrzeiten für die einzelnen Teilabschnitte ergeben über den gesamten Streckenbereich von Heinrich-Lübke-Ufer bis Propsthof Nord bei einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine reine Fahrzeit von 22 Minuten und 26 Sekunden ohne Berücksichtigung der Aufenthaltszeit an den Bahnsteigen. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h ergibt sich hingegen eine Fahrzeit von 23 Minuten und 21 Sekunden. Die theoretische Fahrzeitverkürzung aufgrund der größeren Höchstgeschwindigkeit beträgt demnach 55 Sekunden, d.h. knapp eine Minute.
Praktische Messungen im Linienverkehr
Die Auswertung von 25 gemessenen Fahrten mit den unterschiedlichen Fahrzeugserien und Höchstgeschwindigkeiten im Linienverkehr ergibt eine gute Übereinstimmung der Fahrzeiten mit der theoretischen Berechnung. Die Streuung der gemessenen Werte für die einzelnen Teilabschnitte ist nur sehr gering. Auf Grundlage der Mittelwerte beträgt die Fahrzeitdifferenz über den gesamten Streckenabschnitt 42 Sekunden. Von dieser Fahrzeitdifferenz entfallen alleine 15 Sekunden auf den Abschnitt Sürth – Godorf.
Die Aufenthaltszeit am Bahnsteig beträgt im Mittel 20 Sekunden und ist trotz unterschiedlicher Türtechniken (druckluftbetätigte bzw. elektrisch bediente Türen) weitgehend unabhängig vom Fahrzeugtyp.
In Grafik 2 sind gemessene Zeit-Geschwindigkeitslinien für beide Fahrzeugtypen (B100S bzw. B80D) in einen 1.900 m langen Streckenabschnitt (hier: Godorf – Wesseling Nord) dargestellt. Aufgrund der unterschiedlichen Höchstgeschwindigkeit ergibt sich in diesem Fall eine Fahrzeitdifferenz von 10 Sekunden. Die im Vergleich dazu dargestellte theoretische Berechnung gemäß Anfahrdiagramm liefert brauchbare Ergebnisse.
Man erkennt, dass die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h in der Praxis schneller erreicht wird, als bei der Berechnung. Gemäß Anfahrdiagramm werden dazu 70 Sekunden benötigt. Tatsächlich sind es bei mäßiger Fahrzeugbesetzung nur ca. 45 Sekunden. Dies hat aber nur sehr geringe Auswirkungen auf die Fahrzeit.
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass durch eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h anstelle von 80 km/h bei Bedienung sämtlicher derzeit vorhandenen Zwischenhalte auf der Rheinuferbahn mit einem durchschnittlichen Abstand von 1.375 m keine nennenswerte Fahrzeitverkürzung zu erzielen ist.